Einleitung
Nach längerer Zeit traf ich einen Bekannten wieder, einen jungen Familienvater, der mir sagte, dass er sich freue, mich zu treffen. Das gäbe ihm Mut für seine Zukunft, denn er wüßte nun, dass so mancher Traum noch in Erfüllung gehen könne, auch wenn man schon weitaus älter, oder, wie manche meinen, schon zu alt dafür ist.
Das kann sowohl für Lern- als auch körperliche Leistungen gelten. Fast alle Menschen verfügen über große Kapazitäten, die sie oft nicht erkennen können, sich derer nicht bewußt werden.
Einmal ist es die umgebende Gesellschaft mit ihrem Einfluß auf den Einzelnen, die suggeriert, es nicht zu schaffen, gar nicht erst zu versuchen, kein abgewogenes Risiko einzugehen, um sich persönlich weiterzuentwickeln. Andererseits meinen viele, es wäre besser, eine außergewöhnliche Anstrengung zu vermeiden. Aber wie können sie sich dann selbst entdecken, darüber staunen, wie weit ihre Grenzen verschiebbar sind.
Das heißt, nicht nur der Körper benötigt ein Training, sondern auch die Psyche, die mit der Zeit lernt, ungewöhnliche bis extreme Belastungen durchzustehen, um danach gestärkt für neue Herausforderungen bereit zu sein.
Ich war vier Jahre lang mit dem Rad und Zelt in Europa unterwegs. Als ich Mitte Oktober 2009 Berlin erreichte, zeigte mein Fahrradcomputer 53.700 km an, davon um die 32.000 Entfernungs-km mit vollem Gepäck. Neunzehn europäische Länder wurden durchquert. In Italien und Spanien hielt ich mich wegen des Vertiefens der Sprachen länger auf.
Ich machte eine Erfahrung, die, so denke ich, nur wenigen zuteil wird. Während der Tour hatte ich mehrfach meine Grenzen erreicht, sogar überschritten, ohne es zunächst zu bemerken.
Diese Tour verlangte von mir großen Verzicht, die längere Aufgabe von normalem Komfort und den Annehmlichkeiten des Alltags. Aber nicht nur das. Mit der Zeit, zunächst unbemerkt, dann allmählich schmerzend, wirkte auf mich, wie die Gesellschaft, die sehr materiell orientiert ist, mich sah und entsprechend beurteilte. Jedoch, all dies konnte nicht den Reichtum und die Faszination, zeitweise Euphorie aufwiegen, die mir während der Tour zuteil wurde. Das wirkt bis heute nach, wahrscheinlich bis an mein Lebensende. Oft kommen die schönen, mitunter detailreichen Erinnerungen zurück. Wie eine innere Kraft, die mich positiv in die Zukunft blicken läßt.
Aber nicht nur die starken Eindrücke, gesammelt in der Sicht auf unzählige Panoramen und in Gesprächen mit vielen Menschen unterschiedlicher Mentalitäten, verliehen jedem Tag eine hohe Intensität, sondern auch das Interesse, sich etwas in den Ländern zu integrieren, in denen ich längere Zeit weilte.
Jetzt, nach mehr als zwei Jahren, kann ich es selbst nicht fassen, was ich geschafft habe. War ich absolut überzeugt davon, was ich tat, mental völlig auf diese Sache konzentriert oder führte mich eine nicht erklärbare Kraft. Die Bilder und Texte werden diese Zeit beschreiben. Solche Erlebnisse, Emotionen kann sich keiner ausdenken. Nur der ist in der Lage, es zu beschreiben, der es wirklich erlebt hat.
Wie kam ich auf die Idee, einen Traum in die Tat umzusetzen. Wie war die Vorgeschichte, welche nötigen Voraussetzungen waren vorhanden und trafen sich in einem optimalen Schnittpunkt ?
Der Grund für meine Europa-Tour mit dem Rad
Der Grund ist ganz einfach. Ich kenne den Kontrast in meinem Leben, wozu Höhen und Tiefen gehören. Nach all den Jahren denke ich sogar, dass die Natur den Kontrast liebt. Sie belohnt die Anstrengung mit Wohlbefinden, das nachhaltig ist. Bekommt man etwas leicht, so schwindet der anfänglich euphorisierende Flash schnell und das Bedürfnis nach einem neuen Stimulanz wird groß.
Man kennt das schon von der Schule oder Universität her, wenn eine gute Note erzielt oder eine schwierige Prüfung mit Erfolg bestanden wurde. Immer folgte der Anstrengung ein angenehmes Gefühl. So ist es auch im Sport, was fast jeder bei sich selbst schon erlebt hat.
Schließlich ergab sich der richtige Zeitpunkt: Ich konnte mir einen großen Wunsch erfüllen, der nicht aus den üblichen Dingen bestand. Vier Jahre in fast ganz Europa mit dem Rad unterwegs zu sein. Das, was ich als junger Mensch nicht machen konnte. Eine einzigartige Erfahrung. Ein intensives Studium darüber, was das eigentlich ist, Europa ? Worin es besteht ? Die Menschen und ihre Mentalitäten ? Wie haben sie reagiert ?
Die Vorbereitungen
Eigentlich spielte sich alles im Kopf ab. Vom Traum zur Möglichkeit. Der ungefähre Zeitrahmen. Ein entsprechender finanzieller Background, also Unabhängigkeit. Ich hatte mein Leben lang Ausdauer-Sport getrieben. Die wichtigsten Bedingungen waren also erfüllt.
Schließlich der endgültige Entschluß, der "point of no return".Von nun ab wurden die Aktivitäten mittels einer Checkliste abgearbeitet. Ich hatte keine Ahnung vom Zelten. Braucht man auch nicht, die Erfahrungen kommen mit der Zeit von allein. Irgendwann wurde ich zum Outdoor-"Spezialisten". Alles ist erlernbar. Nicht zu vergessen, ich bereitete mich anhand von Lehrbüchern und CD´s auf Spanisch und Italienisch vor. Sprachen sprechen ist meine wirkliche Passion.
Zuletzt gab ich viele Dinge aus meiner Wohnung weg. Bloß nicht an solchen Dingen hängen. So kam unaufhaltsam der Tag näher, an dem es für mich kein Zurück mehr geben sollte. Ein nicht berechenbarer, neuer Lebensabschnitt sollte beginnen.
Die Abfahrt
Saarbrücken war der Ausgangsort meiner Tour. Dort hatte ich jahrelang ein Appartement bewohnt, das jetzt leer war. Am Vormittag wurden noch die letzten Dinge erledigt. Mittags konnte es endlich losgehen. Mir war noch nicht ganz bewußt, dass ich am Abend nicht mehr zurückkommen würde. Kurze Zeit später überquerte ich die Saar und nach wenigen Minuten befand ich mich bereits in Frankreich. Nun ging es immer auf einem Radweg am Saarkanal entlang. In´s Blaue, denn wo könnte ich die erste Nacht schlafen ?
In diesen Augenblicken ahnte ich nicht, dass es vier Jahre werden sollten. Ohne Handy. Zweimal werden mich Autos in Spanien anfahren, in Messina/Sizilien und Katalonien/Spanien werde ich im Krankenhaus liegen.
Jetzt ist es Zeit, mit mir mit dem Rad durch Europa zu fahren. In den nächsten Posts werde ich von meinen Erlebnissen und Erfahrungen berichten.
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