Hi, Estland / Estonia !
Während die Fähre in der Nacht über die Ostsee nach Tallin fuhr, regnete es. Zusammen mit einem Esten, der in Finnland arbeitete und für ein paar Tage nach Hause zu seiner Familie fuhr, belegte ich eine Zwei-Bett-Kabine. So konnten wir uns über verschiedene Dinge unterhalten und ich erfuhr, dass sich die Esten sehr Finnland verbunden fühlen, als Vorbild für den wirtschaftlichen Aufbau Estlands nehmen. Das Land war früher Teil der Sowjetunion.
Die Esten sind ein kleines baltisches Volk, zählen nur ungefähr 1,4 Millionen Einwohner. Gesprochen wird Estnisch. Lettland und Litauen haben jeweils ihre eigene Sprache. Russisch war früher die verbindende Sprache der Balten, die heute nur noch von älteren Personen gesprochen wird. Junge Leute beherrschen in der Regel nicht mehr Russisch. Da ich selbst Russisch spreche, bekam ich das gut mit.
Nun stand ich am frühen Morgen nach meiner Ankunft im Talliner Hafen mit Sack und Pack. Der erste Schritt mußte sein, so allmählich aus der Stadt herauszukommen und dabei die Augen neugierig weit aufzusperren. Und mich gleichzeitig an das neue Land etwas anzupassen. Aber wohin fahren ?
Die Weiterfahrt sollte mich in Richtung Süden über Lettland und Litauen nach Polen führen. Also dachte ich mir, rein zufällig nach Paldiski zu fahren, das ebenfalls an der Küste liegt. Nachdem ich mich ein paar Mal in dem ziemlich großen Tallin verfahren hatte, fand ich immer mehr aus der Stadt heraus. Schon kam ein Supermarkt in Sicht. Da wollte ich rein, auch um mich mal umzuschauen. Als ich mein bepacktes Rad neben dem Eingang abstellte, stand da eine junge Frau, Russin oder Estin, ich weiß es nicht. Sie würdigte mich nicht eines Blickes. Schaute absolut an mir vorbei. Ein Verhalten, das mir noch manches Mal begegnen sollte.
Die Preise im Supermarkt waren etwas tiefer, als in Deutschand. Aber das galt nicht für alle Produkte.
Das Baltikum sowie die Nähe zu Ostpreußen haben mich magisch angezogen und tief beeindruckt. War es die Einfachheit, die Bescheidenheit des Lebens der Einwohner ? Oder die unberührte Natur ? Die fast unendliche Weite mit dem Blick nach Ostpreußen ? Ich weiß es nicht mehr.
Einmal, in einem kleinen Supermarkt in Estland, sah ich eine ältere Frau, die sich bückte, um einige Kartoffeln in ihre Tüte zu tun. Ich sprach sie auf Russisch an. Sie verharrte einen Augenblick. Dann drehte sie sich, langsam erhebend, zu mir und schaute mich an. Ihre Augen fingen an zu leuchten. Woran mag sie in diesem Augenblick gedacht haben ? An die alten Zeiten des Stolzes auf die Sowjetunion, als die offizielle Sprache Russisch war. Heute ist sie mehr oder weniger verpönt, was ich nicht so gut finde.
Ich erreichte Paldiski auf langen, einsamen Straßen in waldreicher Umgebung. Als ich in der Stadt ankam, sah ich vorwiegend Betonplattenbauten und gleich zu Anfang ein Gebäude, das wohl mal eine ehemalige Militärkommandantur aus Sowjetzeiten war. Kaum Fahrzeugverkehr. An der Hauptstraße standen zu beiden Seiten größere Bäume, die einen Kontrast zum Grau der Gebäude bildeten. Keine fremde Seele weit und breit zu sehen.
Ich kam zu einem kleinen Supermarkt und versuchte, mein Rad an den Treppenstufen abzustellen. Ein Mann, so um die Mitte fünfzig, sprach mich in Englisch an. Er saß in seinem silbergrauen Mercedes, neuestes E-Klassemodell. Wir unterhielten uns ein paar Sätze über deutsche Autos. Als ich die Namen Audi und BMW erwähnte, zeigte er mir mit einer verachtungsvollen Geste, was er von diesen Marken hielt. Er bot mir an, auf mein Rad aufzupassen.
Im selben Augenblick kamen zwei junge Männer auf mich zu. Der eine mit Glatze und einem Gesicht, kreuz und quer von Narben übersät. Ich nahm wohl richtig an, dass er schon so manche zersplitterte Wodka-Flasche ganz nahe gesehen haben musste.Ich kam zu einem kleinen Supermarkt und versuchte, mein Rad an den Treppenstufen abzustellen. Ein Mann, so um die Mitte fünfzig, sprach mich in Englisch an. Er saß in seinem silbergrauen Mercedes, neuestes E-Klassemodell. Wir unterhielten uns ein paar Sätze über deutsche Autos. Als ich die Namen Audi und BMW erwähnte, zeigte er mir mit einer verachtungsvollen Geste, was er von diesen Marken hielt. Er bot mir an, auf mein Rad aufzupassen.
Er steuerte direkt auf mich zu. Was würde er von mir wollen ? Als er vor mir stand, wurde ich gefragt, ob ich ihm eine Zigarette geben könnte ? Ich antwortete ihm freundlich in Russisch, dass ich nicht rauche. Er stutzte und war enttäuscht. Er drehte sich um und ging weg. Ich atmete erleichtert auf.
Mir war klar, dass ich in diesem abgelegenen Ort, einer rein russischen Enklave, wohin es mich zufällig verschlagen hatte, der wohl einzige Ausländer war. Ich wollte da irgendwelchen Ärger vermeiden. Das beste war immer, solchen Leuten ruhig in die Augen zu sehen und freundlich zu antworten. Sie vorurteilslos als Mensch respektieren. Ich denke, sie spüren das.
Nach dem Einkauf kam er wieder, dieses Mal zu zweit, und bat mich um ein wenig Geld. Wieder musste ich ihn enttäuschen, denn ich hatte nur mit der Kreditkarte bezahlt. (Bargeld habe ich nur sehr selten getauscht, da man in ganz Europa bequem mit der Kreditkarte bezahlen kann)
Vor einem anderen, kleinen Supermarkt unterhielt ich mich mit einem 80-jährigen Mütterchen. Sie war ganz schlank und noch geistig fit. Hatte bestimmt schon bessere Zeiten erlebt. Danach kaufte ich mir eine Flasche Bier mit kyrillischer Aufschrift. Ein Import aus Russland. „Nascha Russija“ stand in goldenen Lettern darauf, „Unser Russland“. Eine kleine Ermutigung für das Leben in der Diaspora.
Paldiski war das ehemalige, zentrale Trainingszentrum aller sowjetischen Atom-U-Bootbesatzungen, eine sogenannte „Verbotene Stadt“. Heute leben noch um die 15.000 Russen in diesem estnischen Ort.
Auf dem linken Foto kann man gut die Unberührtheit der Natur erkennen. Das mag seinen Grund darin haben, dass diese Küste zu Sowjetzeiten Grenzgebiet, sprich Sperrgebiet, war. Hier regierte das Militär. Die Ortschaften sind mit Schotterstraßen verbunden. Auf den kleinen Friedhöfen lagen ganze Gutsbesitzersfamilien, mit deutschen Namen auf den Grabsteinen, begraben. Eine ruhige, friedliche Landschaft.
In Pärnu, einer estnischen Hafenstadt, machte ich in einem Camping eine kleine Pause, schaute mir die Stadt an. Weiter ging es dann, immer an der Ostseeküste entlang, in Richtung Lettland, dessen Hauptstadt Riga ich bald erreichte. Unterwegs übernachtete ich gleich hinter dem Ostseestrand in einem Kiefernwäldchen.
Lettland (Latvia)
Als ich durch die Straßen Rigas fuhr und an einer Kreuzung anhalten mußte, öffnete sich eine Tür in der Autoschlange nebenan und ein ältere Mann stieg aus, um mich zu grüßen und mir ein sportliches Kompliment zu machen. Eine faire Geste.
In Riga blieb ich einige Tage auf dem in der Stadt gelegenen Zeltplatz, wo auch eine Gruppe von Architekturstudenten aus Paraguay eine Pause machte. Sie luden mich an einem Abend zu einer Feier ein und sagten mir, dass sie einen großen Trip um die halbe Welt machten, um in den besuchten Ländern die Architekturstile zu studieren.
Unterwegs traf ich einmal in Lettland zwei junge Deutsche. So ergab sich die Gelegenheit, mal 2, 3 Tage zusammen zu fahren. In dem Bauernhaus erkundigten wir uns, ob wir in der Nähe für eine Nacht die Zelte aufschlagen könnten. Der alte Bauer und seine Frau, die Russisch sprachen, freuten sich und gaben uns noch etwas zum essen und trinken.
Nach ein paar Tagen im Camping fuhren sie weiter und ich blieb noch in dem kleinen lettischen Ort an der Küste, der früher militärisches Sperrgebiet war. Der Wald ringsum war voll von zerfallenden ehemaligen Militäreinrichtungen der abgezogenen Russen.
Weiter ging die Tour über Liepaja und Klaipeda, das sich bereits auf dem Territorium von Litauen befindet.
Litauen (Lithuania)
Die baltischen Länder hatten es mir angetan. Ich weiß nicht so genau, warum ? Besonders Litauen wegen seiner Nähe zum ehemaligen Ostpreußen, dem heutigen Kaliningrader Gebiet, das zu Russland gehört.
Vielleicht ging mir auch etwas die Geschichte durch den Kopf, die dieses Gebiet erlebt hat.
An einem Tag, es regnete ohne Unterbrechung, kam ich in den Grenzort Kybartai. Einige Holzhäuser, so dachte ich, würden zerfallen und kein Mensch könnte mehr darin wohnen. Ich war erstaunt über meinen Irrtum, als plötzlich Leute herauskamen.
Vor den heruntergelassenen Bahnschranken staute sich eine lange Schlange von Autos. Ich fuhr vorbei, bis zur Schranke. Eine alte, etwas korpulente Frau, mit einer Einkaufstasche in der Hand, musterte mich mit meinem bepackten Rad. Ich konnte nicht erkennen, was in ihr vor sich ging. Nicht eine einzige Regung, nichts. Endlich kam der Zug aus Richtung Ostpreußen. Die junge, blonde Bahnwärterin winkte mit einem gelben Fähnchen. Zwei große, hellgrün lackierte Diesel-Loks mit kyrillischen Schriftzeichen zogen einen langen Zug hinter sich her. Der Maschinist schaute zu mir herüber. Ich drehte den Kopf, um das Ende des Zugs zu entdecken. Die Loks waren schon vorbei, aber der Maschinist schaute immer noch zu mir - oder besser gesagt, zu meinem Rad. Dann fuhren einige Waggons mit schnittigen Panzern vorbei. Dazwischen ein Waggon mit einem an einer Eisenstange lehnenden russischen Soldaten. Ich grüßte ihn freundlich, er schaute aber sofort weg.
Als die Schranken geöffnet wurden, gab es eine unerwartete Überraschung für mich. Die Schrankenwärterin winkte mir zum Abschied zu. Das war ich gar nicht gewöhnt. Das wunderte mich richtig.
Plötzlich rutschte ich mit dem schweren Rad auf den schräg verlaufenden, nassen Schienen aus und konnte einen Sturz nur im letzten Augenblick vermeiden. Als ich wieder hochkam und mich dabei drehte, schaute ich in das Gesicht der älteren Dame. In ihrem Blick – keine Regung. Sie ging vorbei, so, als sei nichts geschehen.
Von Klaipeda aus fuhr ich nach Silute. Von dort aus schwenkte ich in Richtung Rusne. Dieser Ort war für mich das Ende der Welt. Ich meine das nicht im negativen Sinne. Abgeschieden und friedlich inmitten der Natur. Nur wenige Meter von der russischen Grenze entfernt. Als ich schon wieder aus dem Ort herausfuhr, sah ich auf der anderen Straßenseite eine alte Frau an Krücken. In jeder Hand noch eine gefüllte Einkaufstüte. Ich brachte es nicht übers Herz, einfach daran vorbeizufahren, wendete und fragte sie auf Russisch, ob ich ihr helfen könne. Sie verneinte.
Plötzlich rutschte ich mit dem schweren Rad auf den schräg verlaufenden, nassen Schienen aus und konnte einen Sturz nur im letzten Augenblick vermeiden. Als ich wieder hochkam und mich dabei drehte, schaute ich in das Gesicht der älteren Dame. In ihrem Blick – keine Regung. Sie ging vorbei, so, als sei nichts geschehen.
Von Klaipeda aus fuhr ich nach Silute. Von dort aus schwenkte ich in Richtung Rusne. Dieser Ort war für mich das Ende der Welt. Ich meine das nicht im negativen Sinne. Abgeschieden und friedlich inmitten der Natur. Nur wenige Meter von der russischen Grenze entfernt. Als ich schon wieder aus dem Ort herausfuhr, sah ich auf der anderen Straßenseite eine alte Frau an Krücken. In jeder Hand noch eine gefüllte Einkaufstüte. Ich brachte es nicht übers Herz, einfach daran vorbeizufahren, wendete und fragte sie auf Russisch, ob ich ihr helfen könne. Sie verneinte.
Die beiden litauischen Grenzsoldaten tauchten plötzlich wie aus dem Nichts auf und der Jüngere bat mich um meinen Pass zwecks Kontrolle. Die einzige während meiner vier-jährigen Tour. Sie sagten mir, dass es Schmuggel gäbe, erwähnten aber nicht, dass es sich vielleicht um Menschen handeln könnte. In Litauen fielen mir die neuen Grenzgebäude und modernen SUV der Grenzer auf.
Diese Landschaft hat mich sehr beeindruckt. Ich fuhr dort durch kleine Dörfer, wo mir in den Sinn kam, dass es in den 30-iger Jahren wäre. Zum Greifen nahe lag die Stadt Sovetsk (Tilsit) auf russischer Seite.
Weiter von Sakiai nach Slavikai, das an der russischen Grenze liegt. Die Straße wurde auf einmal sehr breit und hatte an ihren Enden geräumige Betonflächen. Wie in "Schweden" schon beschrieben, diente dieser Abschnitt der Straße als Not-Start- und Landebahn für die MiG-Jäger während der Sowjetzeit, wie mir Bewohner im nahegelegenen Dorf erzählten.
Mich beeindruckte, wie die Bewohner mit einfachen Mitteln ihre Häuser und Grundstücke in Schuß hielten. Oft umrahmten Apfelbäume verschiedener Sorten und gepflegte Blumenrabatten die Gehöfte. Die Aufnahmen zeigen Häuser in Ortschaften, die sich umittelbar an der Grenze zu Ostpreussen befinden.
Ich setzte die Fahrt über das erwähnte Kybartai nach Vistytis fort.
Dieses Foto erinnert mich an einen Abend mit starken Eindrücken. Ich konnte nicht sogleich eine Stelle für die Nacht finden, mußte daher weiterfahren und suchen. Endlich bog ein Feldweg nach rechts ab, in den ich einschwenkte. Er verlief etwas kurvenförmig und war durch Buschwerk nach wenigen Metern verdeckt. Ein Stück weiter offenbarte sich mir eine große Ebene mit Sicht bis zum Horizont. Dort war Ostpreussen. Rechts rüber in der Ferne funkelten die Lichter eines Bauernhofes. Mehrere km weiter, fast am Horizont, blitzte regelmäßig das Flashlight eines Grenzturms auf. Der Wind strich über das Schilf und Wiesengras. Noch nach Jahren habe ich diese einzigartige Stimmung gut in meinem Gedächtnis.
Polen ist fast erreicht. In Kalvarija bog auf die E 67 ab und passierte wenig später die Grenze ohne Kontrolle. In Szypliszki wandte ich mich in Richtung Rutka-Tartak.
Danke, Estland, Lettland und Litauen für die unvergesslichen Eindrücke !
Tourdaten:
Datum
|
Tages-km
|
Fahrzeit h
|
Höhenmeter
|
km/h
|
Bemerkung
|
9.8.2008
|
90
|
7
|
200
|
12,7
| |
10.8.
|
100
|
6:30
|
190
|
15,2
| |
11.8.
|
35
|
*Pärnu
| |||
13.8.
|
102
|
6:50
|
90
|
>Lettland
| |
14.8.
|
90
|
**Riga
| |||
17.8.
|
130
|
7:40
|
340
|
16,9
|
***
|
18.8.
|
50
|
Regen
| |||
19.8.
|
70
|
Regen
| |||
26.8.
|
165
|
>Litauen
| |||
27.8.
|
100
| ||||
28.8.
|
115
| ||||
29.8.
|
115
|
nach 85 km in Polen
| |||
12 Tage
D./Tag
|
1162
96,8
|
>Polen
|
* Camping Pärnu (8 €/Tag)
** Camping Riga (10 €/Tag)
*** letzte Messung der Höhenmeter, danach defekt (VDO-Radcomputer)
**** Camping in Pavilosta/Lettland
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