Sonntag, 2. November 2014

2 Peking. Ein Streifzug durch die Stadt


Um vom nördlichen Teil Pekings, wo ich wohnte, in das Stadtzentrum zu gelangen, gab es mehrere Möglichkeiten. Einmal mit der U5, die ich von meinem Fenster aus sehen konnte, da sie dort auf einer Brücke, die auf Stelzen steht, entlangfuhr. Stadtwärts fahrend verschwand sie dann bereits vor der nächsten Station im Untergrund. In Richtung ihrer Endstation, die in einer Satellitenstadt liegt, bleibt sie über der Erde. Zu den Hauptverkehrszeiten kommt alle drei Minuten eine Bahn. Wegen der  schnell wachsenden Satellitenstädte baut man eine zweite Linie genau darunter unterirdisch. Wenn ich richtig gelesen habe, realisiert Peking innerhalb der nächsten fünf Jahre zehn neue Linien zu ihrem schon gut ausgebauten Netz. Während der Rush hour passierte es mir oft, dass ich nicht mit dem nächsten, übernächsten Zug in die Stadt mitkam. Die U5 war schon so brechend voll, dass einfach kein Reinkommen war.
Die Bahnsteige sind in der Regel mit transparenten Wänden gesichert. Der Zug fährt ein und hält mit seinen Türen genau vor den  Türen in der Wand. Diese öffnen sich automatisch.  Bevor man zum Bahnsteig kommt, kontrolliert die Polizei Gepäck und Taschen wie auf dem Flughafen. Die Bahn wie auch sämtliche Busse werden mit einer aufladbaren Plastikkarte benutzt. Im Bus ist der Ticketkauf beim Schaffner, der immer mitfährt, möglich. Meist wird in der U-Bahn gestanden, im Bus ist eher ein Platz frei. Die U-Bahnwagen sind innerhalb der Zuglänge nicht unterteilt. Die Plastikkarte  hält man über ein Scannerfeld und öffnet damit die Schranke. Beim Verlassen des Zielbahnhofs wird automatisch über Scannen abgebucht (2 Yuan) und der Restbetrag auf der Karte angezeigt.
Die Chinesen drängen zwar in die Bahn, aber nicht auf eine aggressive Art. Das gibt es nicht. Auch der Straßenverkehr kam mir defensiv vor. Drängeleien oder Gehupe sind mir nicht aufgefallen.
In der Bahn wird der Pfad mit den Stationen über der Tür angezeigt. Verschieden farbige Leucht-Dioden erleichtern die Orientierung. Eine blinkende Diode markiert die nächste Station. Eine feine Sache. Außerdem wird über den Lautsprecher durchgesagt.
Mit der Zeit wurden die U-Bahnstationen eine excellente Orientierungshilfe für mich.
Mit dem elektronischen Verfahren sind natürlich keine Kontrolleure in den Waggons notwendig. Ich würde sagen, Geschwindigkeit und Geräuschpegel ähneln der Berliner U-Bahn. Graffiti sucht man vergeblich, Modernität und Sauberkeit sind weitaus besser als in Berlin. Die Bahnen erschienen mir als absolut sicher. Ebenfalls die Bahnhöfe, da genügend Sicherheitspersonal vorhanden ist.
  



Die Jüngeren stehen in den Verkehrsmitteln auf und bieten ihren Platz alten Leuten an, die traditionell in der Gesellschaft Respekt genießen. Selbst wenn sie es nicht täten, würden die Schaffnerin, manchmal auch ein Schaffner, schnell dazu auffordern.
Wie in Deutschland, so sind auch in Peking die jungen Leute mit ihren Handys beschäftigt, manche in Computerspiele versunken.
Nicht alle Chinesen sind von kleinerem Wuchs. Ich bin oft genug groß gewachsenen Frauen und Männern begegnet.
Während der Rush hour, besonders am Nachmittag, habe ich in bestimmten U-Bahn-Stationen wahre Menschenmassen gesehen. Unglaublich, noch heute ist dieses Bild vor meinen Augen. Viele Hunderte bewegen sich gleichmäßig langsam durch eine Art lange Zwangsführung von einer Bahn zum Umsteigen in die andere. Es passiert nichts, keine Nervösität, kein Schubsen oder Drängeln. Ich muß das bewundern. Wie machen sie es nur. Na ja, Sie sind damit aufgewachsen.
Ebenfalls ist mir die Versorgung ein kleines Rätsel geblieben. Am Tag sieht man keinen LKW auf den Straßen, um die Supermärkte zu beliefern. Muß wohl alles in der Nacht passieren.
An den Haltestellen kommen ständig Busse, und zwar so viele, dass ein Fahrplan mit Uhrzeiten nicht notwendig ist. Viele Fotos zeigen, dass Taxen das Straßenbild Pekings prägen. Mitunter kann man innerhalb einer Minute Wartezeit in ein Taxi steigen. Die Fahrpreise sind wie die der anderen Verkehrsmittel niedrig.












An diesen drei Fotos, die ich während meiner Touren durch die Stadt machte, kann ich gut das typische Verkehrsverhalten der Pekinger erläutern. Es ist wirklich interessant, flexibel und überhaupt nicht chaotisch, wie oft behauptet wird.
Vorneweg: Ich habe in all der Zeit keinen Unfall in Peking gesehen, nur einmal vom Bus aus einen kleinen Blechschaden. Man sieht zunächst, dass keiner einen Sturzhelm trägt. Es ist auch an diesem Junitag heiß. Außerdem ist gut zu erkennen, wie dunstig es ist. Das Meer ist nicht allzuweit und verursacht das Einströmen feuchterer Luftmassen. Zwei Fotos zeigen dieselbe Kreuzung, nur um Sekunden zeitversetzt.
Wir schauen von der Fußgängerbrücke herunter und sehen, dass der Geradeausverkehr bei Rot gestoppt hat. In keinem Fall fährt er weiter. Die Linksabbieger haben Grün und fahren. Für unsere Fußgänger und Radfahrer gilt noch Rot (nicht sichtbar). Das ist nur eine Art "Empfehlung", genauso wie Grün. Die Fußgänger sind bereits ein gutes Stück auf der Kreuzung, lassen die Linksabbieger vorbei und gehen dann einfach weiter. Grün bekommen sie erst, als sie schon fast auf der anderen Straßenseite sind. Man sieht auch, dass die linksabbiegenden Autos ein wenig Rücksicht auf die Radfahrer nehmen. Es ist ein flexibles, irgendwie geschmeidiges aneinander Vorbeigleiten. Kein Drängeln und Hupen. Ich habe es täglich beobachtet. Es funktioniert.






Bemerkenswert ebenfalls: Rechtsabbiegende Autos bei Rot und Fußgänger bei Grün.(siehe Foto unten) Hier schauen beide aufeinander. Der Fußgänger sollte nicht einfach trotz Grün ! über die Straße gehen. Erst aufpassen und mitunter vorbeilassen. Das ist eine gegenseitige Flexibilität mit etwas höherem Risiko. Aber effizient gegenüber dem Warten auf Grün bei leerer Kreuzung für den Fußgänger in Deutschland. Beste Lösung für einen Deutschen wäre, sich einfach den Chinesen beim Überqueren anzuschließen. Dann passiert einem nichts.
Das Verhalten ändert sich auch dann nicht, wenn ein Polizist an der Kreuzung steht.
Wenn man dieses kennt, ist es bestimmt nicht völlig falsch, bestimmte mentale Eigenschaften der Chinesen abzuleiten.
Eine der größten Überraschungen in den ersten Tagen war, dass fast alle Mofas E-Antrieb haben. Aufpassen, man hört sie nicht herankommen. Sie huschen nur so vorbei. Motorräder sind nur selten zu sehen. Die Pekinger müssen ihre Autos je nach Endnummer an einem bestimmten Wochentag in der Garage lassen, um die Verkehrsdichte zu regulieren.
 









Auf dem rechten Foto verschwindet die U5-Linie gerade unter der Erde. In Peking sind viele Straßen von Schatten spendenden Bäumen und Anlagen mit Blumen umsäumt. Ab und zu kann man auf einer Bank Platz nehmen und der chinesischen Geschäftigkeit zuschauen.
 
      























Diese beiden Fotos enstanden etwas außerhalb des Zentrums. Es sind Straßen, wo sich ein kleines Geschäft neben dem anderen befindet. Immer wieder unterbrochen von ganz kleinen Restaurants mit 3 bis 4 Tischen oder Thekenverkauf von Getränken, z. B. grünem Tee, und auf der heißen Herdplatte angefertigten chinesischen Gerichten. Gerne habe ich auch die "Baozi" gegessen. Das sind kleine Teigklöße mit vegetarischen- oder Fleischinhalten. Sie fehlen mir sehr in Deutschland. Das Auto spielt eine große Rolle in den Wünschen der Chinesen. So habe ich in einer Satellitenstadt einen nagelneuen VW Passat vor einer ärmlichen Behausung gesehen, den die Familie fast liebevoll gewaschen hat. Für sie war es eine Errungenschaft in einer aufstrebenden Gesellschaft, die ich gut verstehen kann. Trotzdem, ich hatte das Gefühl, dass der mehr oder weniger große Reichtum nicht so hergezeigt wird, wie ich es an Spaniens Küsten erlebt habe. Das andere Foto zeigt neue Dreiräder mit E-Antrieb, oft benutzt von älteren Leuten für zwei Personen und die Einkäufe.
Wie ich schon schrieb, hat man als Ausländer in Peking niemals das Gefühl der Unsicherheit gegenüber einer Agression durch andere Menschen. Einmal liegt das daran, dass genügend Polizei ihren Dienst tut, zum anderen wohl auch an den strengen Strafen, die bestimmt abschrecken.
Während meiner Zeit in China sind mir zwei extreme Fälle durch das Fernsehen bekannt geworden:
Anfang Mai 2011sah ich abends das Ende einer Gerichtsverhandlung, wo der Angeklagte nach dem Urteil zusammenbrach und von zwei maskierten Polizisten hochgestützt wurde. Der junge, etwa 27- jährige Musikstudent war gerade zum Tode verurteilt worden. Diese Bilder erschreckten mich etwas. Was passierte?  Er war aus "besserem" Hause und in einer chinesischen Provinzstadt mit einem großen Auto abends unterwegs gewesen. Dabei fuhr er eine junge Radfahrerin und Mutter eines kleinen Kindes an. Er stieg aus und schaute nach der am Boden liegenden, leicht verletzten Frau. Ihm wurde klar, dass es "nur" eine Bäuerin war, gerade im Begriff, sich die Autonummer zu merken.
Der junge Mann ging zurück zum Auto, holte ein Messer, dass ihm sein Vater geraten hatte, immer mitzuführen und erstach damit die noch am Boden liegende. Dann fuhr er weg und stellte sich wenige
Tage später wegen des hohen Fahndungsdrucks der Polizei.
Dieser Fall sorgte für große Aufregung in der chinesischen Bevölkerung. Noch während meines Aufenthaltes in Peking wurde er mit einer Giftinjektion exekutiert. Sein Abbild sah ich mehrere Tage auf der Titelseite einer Zeitschrift an den Zeitungskiosken.
Der zweite Fall, auch ein Verkehrsunfall, endete mit einem Urteil auf Lebenslänglich für einen jungen Mann. Immer wieder zeigte das chinesische Fernsehen die Bilder der Kamera an einer Kreuzung. Ein Auto näherte sich mit hoher Geschwindigkeit einer Kreuzung, wo mehrere Fahrzeuge wegen Rot gestoppt hatten. Der Fahrer, unter Haschisch-Drogen stehend, prallte auf einen Kleinwagen und schob diesen auf einen vorbeifahrenden Bus. Zwei kleine Kinder und der Vater starben, die Mutter überlebte schwerverletzt.



  






Peking hat einen Stadtteil, der sich Wissenschafts- und Technologie-Stadt nennt. Hier ist auch Microsoft China angesiedelt. Gewaltige, supermoderne Bauten nehmen jeden Morgen Tausende junger Informatiker, Ingenieure, Programmierer usw. auf. Ich war in solch einem Gebäude. Alles fein, selbst die Sanitärbereiche. Viele Angestellte saßen in Reihen vor ihren Rechnern. Nicht 10 oder 20, sondern 150, 200. In diesen Gebäuden arbeitet eine der treibenden Kräfte Chinas.











Mit diesem schönen Rosenbeet möchte ich meinen Streifzug durch Peking beschließen. Jeder möge sich sein eigenes Urteil bilden. Natürlich kann man immer kritikwürdige Zustände finden, wenn speziell danach gesucht wird. Durch den Focus auf deren ständige Wiederholung prägt sich dann bei den Menschen ein bestimmtes Bild ein, das aber nicht der Realität entspricht. Als ehemaliger DDR-Bürger bin ich  besonders sensibel, was Propaganda betrifft. Und die wird eifrig in den Medien betrieben.
Wo sind auf meinen Fotos die toten Fische, vergrämten Menschen mit Atemmasken, die Riesen-Staus zu sehen ? Die Leute wollen nur eines: lernen, arbeiten, um vorwärtszukommen für ein gutes Leben. Politik interessiert kaum jemanden. Ich wurde niemals danach gefragt.
In einer Satelliten-Stadt sah ich einen verschmutzten Fluß. Natürlich hat dieses Riesenvolk noch viel zu tun. Aber was sie in relativ kurzer Zeit geschafft haben, ist atemberaubend. Mit einer Geschwindigkeit, die mir vorher nicht möglich erschien. Respekt und Anerkennung dafür.
Ich beneide niemanden und bin dankbar dafür, dass ich eine solche Gelegenheit hatte, diese Stadt  intensiv kennenzulernen. So wiegt man die Menschen hier in einer trügerischen Sicherheit, was die Zukunft betrifft - bis das Aufwachen kommt.



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